Ausgewählte Fabeln
von Aesop
Inhaltsverzeichnis
Das Kamel
Das Lamm und der Wolf
Das Pferd und der Esel
Das Rebhuhn und die Hühner
Das Schilfrohr und der Ölbaum
Der Adler und der Fuchs
Der Adler und die Dohle
Der Adler und die Schildkröte
Der alte Löwe und der
Fuchs
Der Eber und der Fuchs
Der Esel auf Probe
Der Esel und das Pferd
Der Esel und der Fuchs
Der Esel und die Ziege
Der Esel, der Rabe und
der Hirt
Der Frosch, die Ratte
und die Weihe
Der Fuchs und der Bock
Der Fuchs und der Esel
Der Fuchs und der Storch
Der Fuchs und die Trauben
Der Hahn und der Diamant
Der Haushahn und die Mägde
Der Hirsch
Der Hirsch und der Löwe
Der Hirt und der Wolf
Der Hund und das Schaf
Der Hund und das Schaf
Der Hund und das Stück
Fleisch
Der Hund und der Wolf
Der Löwe und der Esel
Der Löwe und die Mücke
Der Löwe, Wolf und Fuchs
Der Löwe, der Fuchs
und der Esel
Der Landmann und der Storch
Der Löwe
mit anderen Tieren auf der Jagd
Der Löwe und das Mäuschen
Der Löwe und der Bär
Der Löwe und die Ziege
Der Mensch und das Rebhuhn
Der mit Salz beladene Esel
Der Ochsentreiber und Herkules
Der Pfau und die Dohle
Der Vogelsteller und
die Schlange
Der Wolf und der Kranich
Der Wolf und die Hirten
Der wilde Hund
Des Löwen Anteil
Die beiden Frösche
Die beiden Hähne
Die Fledermaus
Die Frösche und die
Schlange
Die Hasen und die Frösche
Die Henne und die Schwalbe
Die Krähe und die Vögel
Die Krähe und andere
Vögel
Die Löwin und die Füchsin
Die Maus und der Frosch
Die Schildkröte und
der Hase
Die Schlange und der Landmann
Die Schwalbe und andere
Vögel
Die Stadt- und die Landmaus
Die Taube und die Krähe
Die weiße Dohle
Die wilde Ziege und
der Weinstock
Die Ziege und der Ziegenhirt
Drei Stiere und der Löwe
Ein Fuchs und eine Bildsäule
Huhn und Eier
Jupiter und die Bienen
Jupiter und die Schlange
Knaben und Frösche
Rabe und Fuchs
Vom Fuchs und Hahn
Zeus und das Kamel
Zwei Freunde und ein Bär
Zwei Frösche
Zwei Krebse
Das Kamel
Als die Menschen das Kamel zum ersten Male sahen, erstaunten sie über
die Größe des Tieres und flohen bestürzt davon.
Bald merkten sie aber, daß es nicht so furchtbar sei, wie sie
es erwartet hatten, sondern daß man es leicht bändigen könne.
Sie fingen es mit geringer Mühe ein und verwendeten es zu ihrem Nutzen.
Ganz geduldig ließ es alles mit sich geschehen und wich jeder Gefahr
aus. Nun fingen die Menschen an, weil es trotz seiner Größe
und Stärke sich nie widerspenstig zeigte, sondern sich jede Kränkung
ruhig gefallen ließ, es zu verachten, zäumten es auf und ließen
es von ihren Kindern leiten.
Laß dich nicht von jedem gefährlich scheinenden abschrecken.
Das Lamm und der Wolf
Ein Lämmchen löschte an einem Bache seinen Durst. Fern von
ihm, aber näher der Quelle, tat ein Wolf das gleiche. Kaum erblickte
er das Lämmchen, so schrie er:
"Warum trübst du mir das Wasser, das ich trinken will?"
"Wie wäre das möglich", erwiderte schüchtern das Lämmchen,
"ich stehe hier unten und du so weit oben; das Wasser fließt ja von
dir zu mir; glaube mir, es kam mir nie in den Sinn, dir etwas Böses
zu tun!"
"Ei, sieh doch! Du machst es gerade, wie dein Vater vor sechs Monaten;
ich erinnere mich noch sehr wohl, daß auch du dabei warst, aber glücklich
entkamst, als ich ihm für sein Schmähen das Fell abzog!"
"Ach, Herr!" flehte das zitternde Lämmchen, "ich bin ja erst vier
Wochen alt und kannte meinen Vater gar nicht, so lange ist er schon tot;
wie soll ich denn für ihn büßen."
"Du Unverschämter!" so endigt der Wolf mit erheuchelter Wut, indem
er die Zähne fletschte. "Tot oder nicht tot, weiß ich doch,
daß euer ganzes Geschlecht mich hasset, und dafür muß
ich mich rächen."
Ohne weitere Umstände zu machen, zerriß er das Lämmchen
und verschlang es.
Das Gewissen regt sich selbst bei dem größten Bösewichte;
er sucht doch nach Vorvand, um dasselbe damit bei Begebung seiner Schlechtigkeiten
zu beschwichtigen.
Das Pferd und der
Esel
Ein Bauer trieb ein Pferd und einen Esel, beide gleichmäßig
beladen, zu Markte. Als sie schon eine gute Strecke vorwärts gegangen
waren, fühlte der Esel seine Kräfte abnehmen. "Ach", bat er das
Pferd kläglich: "Du bist viel größer und stärker als
ich, und doch hast du nicht schwerer zu tragen, nimm mir einen Teil meiner
Last ab, sonst erliege ich."
Hartherzig schlug ihm das Pferd seine Bitte ab: "Ich habe selbst meinen
Teil, und daran genug zu tragen."
Keuchend schleppte sich der Esel weiter, bis er endlich erschöpft
zusammenstürzte.
Vergeblich hieb der Herr auf ihn ein, er war tot. Es blieb nun nichts
weiter übrig, als die ganze Last des Esels dem Pferde aufzupacken,
und um doch etwas von dem Esel zu retten, zog ihm der Besitzer das Fell
ab und legte auch dieses noch dem Pferde oben auf.
Zu spät bereute dieses seine Hartherzigkeit. "Mit leichter Mühe",
so klagte es, "hätte ich dem Esel einen kleinen Teil seiner Last abnehmen
und ihn vom Tode retten können. jetzt muß ich seine ganze Last
und dazu noch seine Haut tragen."
Hilf zeitig, wo du helfen kannst. Hilf dem Nachbarn löschen, ehe
das Feuer auch dein Dach ergreift.
Das Rebhuhn
und die Hühner
Ein Hühnerfreund kaufte ein Rebhuhn, um es in seinem Hof mit seinem
andern Geflügel laufen zu lassen, allein die Hühner bissen und
trieben es stets vom Fressen ab. Dies schmerzte das Tier sehr, denn es
glaubte, es geschehe ihm diese Zurücksetzung, weil es fremd sei; betrübt
zog es sich in einen Winkel zurück.
Bald aber tröstete es sich, als es sah, daß sich die Hühner
untereinander ebenso bissen und sprach zu sich: Wenn diese schlechten Tiere
Feindseligkeiten sogar gegen sich selbst ausüben, so werde ich wohl
eine solche Behandlung mit Gleichmut ertragen können.
Geiz und Mißgunst sind die größten Feinde des Friedens.
Der Adler und der
Fuchs
Ein Adler horstete auf einer hohen Eiche, und der Fuchs hatte sein Loch
unten an derselben. Diese Nachbarschaft schien eine Freundschaft zur Folge
zu haben. Aber ach, wie wenig aufrichtig war sie!
Als der Fuchs einmal des Abends auf Raub ausging, und der Adler gerade
diesen Tag über aus Mangel an Beute mit seinen Jungen hatte fasten
müssen, so glaubte er, der Hunger hebe jede Rücksicht der Freundschaft
auf, stürzte sich auf die Füchschen, trug sie in seinen Horst
und verschlang sie mit seinen Jungen; ein leckeres Mal für sie und
ihn! Kaum war der Fuchs zurückgekehrt, als er auch seine Jungen vermißte
und den Frevel sogleich ahnte.
Ergrimmt über diese Verletzung der Freundschaft und von seinem
Schmerz getrieben, stieß er eine Flut von Schmähungen gegen
seinen früheren Freund, der nun sein heftigster Feind geworden war,
aus, weil er sonst kein Mittel sah, sich zu rächen - und flehte den
Zorn der Götter auf den Adler herab.
Ruhig, mit höhnischer Miene, schaute der Adler auf den erbitterten
Fuchs und ahnte nicht, daß so bald die verdiente Strafe folgen würde.
In der Nachbarschaft war nämlich ein Fest, und die Landleute opferten
ihren Göttern. Als die Eingeweide angezündet wurden, flog der
Adler hinzu, raubte nach seiner Gewohnheit ein Stück und trug es in
sein Nest. Allein ohne sein Wissen war glimmende Asche an diesem Stück
hängengeblieben; sein Horst fing schnell Feuer, und da gerade ein
heftiger Sturm wütete, so war das Nest bald von den Flammen verzehrt;
die halbgebratenen Jungen fielen herab, und der Fuchs verzehrte sie vor
den Augen des Adlers.
Dem Verbrecher wird sein Lohn.
Das Schilfrohr und
der Ölbaum
Über Stärke, Festigkeit und Ruhe stritten sich ein Schilfrohr
und ein Ölbaum. Das Rohr, welches von dem Ölbaum darob getadelt
ward, daß es aller Stärke entbehre und leicht von allen Winden
hin und her bewegt werde, schwieg und sagte kein Wort. Nach einer kleinen
Weile erhob sich ein heftiger Sturm; das hin und her geschüttelte
Rohr hatte den Windstößen nachgegeben und blieb unbeschädigt,
der Ölbaum dagegen, welcher sich den Winden entgegengestemmt hatte,
wurde durch deren Gewalt gebrochen.
Der Adler und die
Dohle
Ein Adler stürzte sich hoch aus der Luft auf ein Lamm, faßte
es mit seinen Krallen und trug es mit Leichtigkeit davon.
Eine Dohle hatte dies mit angesehen, und da sie sich ebenso stark glaubte
wie der Adler, flog sie auf einen Widder zu. Aber vergeblich bemühte
sie sich, ihn fortzubringen, sie verwickelte sich in die Wolle und konnte
nun auch nicht wieder davonfliegen.
Als der Hirte sie zappeln sah, haschte er sie, beschnitt ihr die Flügel
und nahm sie seinen Kindern zum Spielzeug mit.
"Ei! Ei!" riefen hocherfreut die Knaben, "wie nennt man diesen Vogel?"
"Vor einer Stunde noch", antwortete der Vater, "hielt er sich für
einen Adler, mußte aber bald einsehen, daß er nur eine elende
Dohle ist."
Wage dich nicht an Dinge, die deine Kräfte übersteigen; es
gibt sonst zum Schaden noch Spott.
Der Adler und
die Schildkröte
Eine Schildkröte bat einen Adler, ihr Unterricht im Fliegen zu
geben. Der Adler suchte es ihr auszureden, aber je mehr er sich bemühte,
ihr das Törichte ihres Wunsches klarzumachen, desto mehr beharrte
sie darauf.
Ihrer dringenden Bitten müde, nahm der Adler sie endlich in die
Luft und ließ sie ungefähr turmhoch herabstürzen; zerschmettert
lag sie auf der Erde und mußte so ihre Torheit büßen.
Trachte nicht nach Dingen, die die Natur dir versagt hat; was die Natur
versagt, kann niemand geben.
Der Eber und der
Fuchs
Ein Fuchs sah einen Eber seine Hauer an einem Eichstamme wetzen und
fragte ihn, was er da mache, da er doch keine Not, keinen Feind vor sich
sehe?
"Wohl wahr", antwortete der Eber, "aber gerade deswegen rüste ich
mich zum Streit; denn wenn der Feind da ist, dann ist es Zeit zum Kampf,
nicht mehr Zeit zum Zähnewetzen."
Bereite dich im Glück auf das künftige Unglück; sammle
und rüste in guten Tagen auf die schlimmern.
Der Esel auf Probe
Ein Mann kaufte einen Esel, aber nicht gleich endgültig, sondern
er machte eine Probezeit aus. Als er mit ihm in seinen Hof kam, wo schon
mehrere Esel teils bei der Arbeit, teils bei der Abfütterung waren,
ließ er ihn frei laufen. Sogleich trottete der neue zu dem faulsten
und gefräßigsten Gefährten und stellte sich zu ihm an die
Futterkrippe. Da legte ihm der Mann den Strick wieder um den Hals und brachte
ihn dem bisherigen Besitzer zurück.
"So schnell kannst du ihn doch gar nicht erprobt haben", wunderte sich
der.
"O mir genügt, was ich gesehen und erfahren habe: Nach der Gesellschaft,
die er sich ausgesucht hat, ist er ein übler Bursche!"
Der Esel und das
Pferd
Ein Esel, der nach der größten Anstrengung nicht einmal Streu
genug erhielt, um seinen Hunger zu stillen, und unter seiner schweren Bürde
kaum noch fortkriechen konnte, hielt ein schönes, prächtig geschmücktes
Pferd für glücklich, weil es so gut und im Überfluß
gefüttert würde. Ach, wie sehr wünschte er mit diesem Tiere
tauschen zu können.
Allein nach einigen Monaten erblickte er dasselbe Pferd lahm und abgezehrt
an einem Karren. "Ist dies Zauberei?" fragte er. "Beinahe", antwortete
traurig das Pferd; "eine Kugel traf mich, mein Herr stürzte mit mir
und verkaufte mich zum Dank um ein Spottgeld; lahm und kraftlos, wie ich
jetzt bin, wirst du gewiß nicht mehr mich beneiden und mit mir tauschen
wollen."
Wie oft das größte Glück Zerstört ein Augenblick!
Der Esel und der
Fuchs
Ein Esel und ein Fuchs lebten lange freundschaftlich zusammen und gingen
auch miteinander auf die Jagd. Auf einem ihrer Streifzüge kam ihnen
ein Löwe so plötzlich in den Weg, daß der Fuchs fürchtete,
er könne nicht mehr entfliehen. Da nahm er zu einer List seine Zuflucht.
Mit erkünstelter Freundlichkeit sprach er zum Löwen:
"Ich fürchte nichts von dir, großmütiger König!
Kann ich dir aber mit dem Fleische meines dummen Gefährten dienen,
so darfst du nur befehlen."
Der Löwe versprach ihm Schonung, und der Fuchs führte den
Esel in eine Grube, in der er sich fing.
Brüllend eilte nun der Löwe auf den Fuchs zu und ergriff ihn
mit den Worten: "Der Esel ist mir gewiß, aber dich zerreiße
ich wegen deiner Falschheit zuerst."
Den Verrat benutzt man wohl, aber den Verräter liebt man doch nicht.
Der Esel und die Ziege
Ein Bauer hatte einen Esel und eine Ziege. Weil nun der Esel sehr viel
arbeiten und große Lasten tragen mußte, erhielt er ein reichlicheres
und besseres Futter als die Ziege.
Diese beneidete den Esel, und um ihn um die bessere Kost zu bringen,
oder doch wenigstens ihm Schläge einzutragen, sprach sie eines Tages
zu ihm:
"Höre, lieber Freund! Oft schon habe ich dich von Herzen bedauert,
daß du Tag für Tag die schwersten Lasten tragen und vom Morgen
bis Abend arbeiten mußt; ich möchte dir wohl einen guten Rat
geben."
"Warum nicht?" sagte der Esel, "ich bitte dich sogar darum!"
"Nun, so höre: Wenn du an eine Grube kommst, so stürze dich
hinein, stelle dich verletzt, und dann wirst du längere Zeit Ruhe
haben und nichts arbeiten dürfen."
Dem Esel schien dies ein ganz guter Vorschlag, und kaum war er anderntags
mit einer Last bei einer Grube angekommen, als er auch schon den Rat befolgte.
Wie aus Zufall trat er fehl und stürzte hinein. Aber das hatte er
sich nicht gedacht! Halb tot lag er da und daß er sich nicht ein
Bein gebrochen, war ein Glück. Ganz geschunden wurde er herausgeholt
und konnte sich kaum nach Hause schleppen.
Sein Herr hatte nichts Eiligeres zu tun, als zu einem Vieharzt zu schicken,
der dann verordnete: der Kranke solle eine frische, pulverisierte Ziegenlunge
einnehmen.
Da dem Herrn der Esel mehr wert war als die Ziege, so ließ er
diese sofort schlachten, um den Esel zu retten.
So büßte die Ziege für ihren bösen Rat mit dem
Leben.
Die Folgen des Neides gereichen nicht selten dem Neider selbst zum Verderben.
Der Fuchs und der
Bock
Ein Bock und ein Fuchs gingen in der größten Hitze miteinander
über die Felder und fanden, von Durst gequält, endlich einen
Brunnen, jedoch kein Gefäß zum Wasserschöpfen. Ohne sich
lang zu bedenken, sprangen sie, der Bock voraus, hinunter und stillten
ihren Durst. Nun erst begann der Bock umherzuschauen, wie er wieder herauskommen
könnte. Der Fuchs beruhigte ihn und sagte: "Sei guten Muts, Freund,
noch weiß ich Rat, der uns beide retten kann! Stelle dich auf deine
Hinterbeine, stemme die vorderen gegen die Wand und recke den Kopf recht
in die Höhe, daß die Hörner ganz aufliegen, so kann ich
leicht von deinem Rücken hinausspringen und auch dich retten!"
Der Bock tat dies alles ganz willig. Mit einem Sprung war der Fuchs
gerettet und spottete nun des Bocks voll Schadenfreude, der ihn hingegen
mit Recht der Treulosigkeit beschuldigte. Endlich nahm der Fuchs Abschied
und sagte: "Ich sehe schlechterdings keinen Ausweg zu deiner Rettung, mein
Freund! Höre aber zum Dank meine Ansicht: Hättest du so viel
Verstand gehabt als Haare im Bart, so wärest du nie in diesen Brunnen
gestiegen, ohne auch vorher zu bedenken, wie du wieder herauskommen könntest!"
Vorgetan und nachbedacht, hat manchen in groß Leid gebracht!
Der Esel,
der Rabe und der Hirt
Auf einer Wiese weidete ein Esel, der sich den Rücken wund geschunden
hatte. Dies sah ein Rabe, flog auf den Esel zu, setzte sich auf dessen
Rücken und fing an, mit dem Schnabel in das rohe Fleisch zu picken.
Dies schmerzte den Esel sehr, und obgleich er sich bemühte, den
lästigen Gast los zu werden, gelang es ihm nicht.
Wenige Schritte davon lag sein Hüter, der mit einem Worte den
Raben hätte vertreiben können. Der aber ergötzte sich an
den tollen und possierlichen Sprüngen und Gesichtern, welche der Esel
von Schmerz getrieben machte, und lachte laut dazu.
"Oh!" rief der Esel aus, "jetzt fühle ich wirklich meine Schmerzen
doppelt, weil mich auch der verlacht, der mir helfen könnte und sollte."
Statt Hilfe Hohn zum Schaden schmerzt doppelt.
Der
Frosch, die Ratte und die Weihe
Ein Frosch stritt mit einer Ratte um einen Sumpf. Der Frosch behauptete,
daß er ihn mit dem größten Rechte besitze; die Ratte hingegen,
daß er ihr gehöre und daß der Frosch ihr denselben abtreten
müsse. Dieser wollte aber nichts davon hören, und so gerieten
sie bei diesem Streite hart aneinander.
Wieviel besser hätten sie getan, wenn sie sich verglichen hätten;
denn in der Hitze des Streites hatten sie nicht auf die Weihe geachtet,
welche in der Ferne gelauert hatte, nun über die Kämpfer herfiel
und beide zerriß.
Wenn sich zwei Schwache zanken, so endigt oft ein dritter, Mächtigerer
zu seinem Vorteil den Streit.
Der Fuchs und der
Esel
Ein Esel warf einmal eine Löwenhaut um sich her, lustwandelte mit
stolzen Schritten im Wald und schrie sein 'Ia Ia' aus allen Kräften,
um die andern Tiere in Schrecken zu setzen. Alle erschraken, nur der Fuchs
nicht. Dieser trat keck vor ihn hin und höhnte ihn: "Mein Lieber,
auch ich würde vor dir erschrecken, wenn ich dich nicht an deinem
'Ia' erkannt hätte. Ein Esel bist und bleibst du!"
Mancher Einfältige in prächtigem Gewande gälte mehr,
wenn er schwiege, denn: Mit Schweigen sich niemand verrät.
Der Fuchs und der
Storch
Ein Fuchs hatte einen Storch zu Gaste gebeten, und setzte die leckersten
Speisen vor, aber nur auf ganz flachen Schüsseln, aus denen der Storch
mit seinem langen Schnabel nichts fressen konnte. Gierig fraß der
Fuchs alles allein, obgleich er den Storch unaufhörlich bat, es sieh
doch schmecken zu lassen.
Der Storch fand sich betrogen, blieb aber heiter, lobte außerordentlich
die Bewirtung und bat seinen Freund auf den andem Tag zu Gaste. Der Fuchs
mochte wohl ahnen, daß der Storch sich rächen wollte, und wies
die Einladung ab. Der Storch ließ aber nicht nach, ihn zu bitten,
und der Fuchs willigte endlich ein.
Als er nun anderen Tages zum Storche kam, fand er alle möglichen
Leckerbissen aufgetischt, aber nur in langhalsigen Geschirren. "Folge meinem
Beispiele", rief ihm der Storch zu, "tue, als wenn du zu Hause wärest."
Und er schlürfte mit seinem Schnabel ebenfalls alles allein, während
der Fuchs zu seinem größten Ärger nur das Äußere
der Geschirre belecken konnte und nur das Riechen hatte.
Hungrig stand er vom Tische auf und gestand zu, daß ihn der Storch
für seinen Mutwillen hinlänglich gestraft habe.
Was du nicht willst, daß man dir tu',
Das füg' auch keinem anderen zu.
Der Fuchs und
der Holzhacker
Ein vor Jägern fliehender Fuchs fand, nachdem er lange in der
Wildnis herumgelaufen war, endlich einen Holzhacker und bat denselben inständig,
ihn doch bei sich zu verbergen. Dieser zeigte ihm seine Hütte, worauf
der Fuchs hineinging und sich in einem Winkel versteckte. Als die Jäger
kamen und sich bei dem Manne erkundigten, so versicherte dieser zwar durch
Worte, er wisse nichts, deutete aber mit der Hand nach dem Orte hin, wo
der Fuchs versteckt war. Allein die Jäger hatten nicht darauf geachtet
und entfernten sich sogleich wieder. Wie nun der Fuchs sie fortgehen sah,
ging er wieder heraus, ohne etwas zu sagen; und als der Holzhacker ihm
Vorwürfe machte, daß er ihm, durch den er doch gerettet worden
sei, keinen Dank bezeuge, drehte sich der Fuchs nochmals um und sprach:
"Ich wüßte dir gerne Dank, wenn die Werke deiner Hand und deine
Gesinnung mit deinen Reden im Einklange ständen."
Die Fabel geht diejenigen an, die zwar die Rechtschaffenheit im Munde
führen, durch ihre Handlungen aber das Gegenteil an den Tag legen.
Der Fuchs und
die Trauben
Eine Maus und ein Spatz saßen an einem Herbstabend unter einem
Weinstock und plauderten miteinander. Auf einmal zirpte der Spatz seiner
Freundin zu: "Versteck dich, der Fuchs kommt", und flog rasch hinauf ins
Laub.
Der Fuchs schlich sich an den Weinstock heran, seine Blicke hingen sehnsüchtig
an den dicken, blauen, überreifen Trauben. Vorsichtig spähte
er nach allen Seiten. Dann stützte er sich mit seinen Vorderpfoten
gegen den Stamm, reckte kräftig seinen Körper empor und wollte
mit dem Mund ein paar Trauben erwischen. Aber sie hingen zu hoch.
Etwas verärgert versuchte er sein Glück noch einmal. Diesmal
tat er einen gewaltigen Satz, doch er schnappte wieder nur ins Leere.
Ein drittes Mal bemühte er sich und sprang aus Leibeskräften.
Voller Gier huschte er nach den üppigen Trauben und streckte sich
so lange dabei, bis er auf den Rücken kollerte. Nicht ein Blatt hatte
sich bewegt.
Der Spatz, der schweigend zugesehen hatte, konnte sich nicht länger
beherrschen und zwitscherte belustigt: "Herr Fuchs, Ihr wollt zu hoch hinaus!"
Die Maus äugte aus ihrem Versteck und piepste vorwitzig: "Gib dir
keine Mühe, die Trauben bekommst du nie." Und wie ein Pfeil schoß
sie in ihr Loch zurück.
Der Fuchs biß die Zähne zusammen, rümpfte die Nase und
meinte hochmütig: "Sie sind mir noch nicht reif genug, ich mag keine
sauren Trauben." Mit erhobenem Haupt stolzierte er in den Wald zurück.
Der Hahn und der
Diamant
Ein hungriger Hahn scharrte auf einem Misthaufen nach Fruchtkörnern
und fand einen Diamanten. Unmutig stieß er ihn beiseite und rief
aus: "Was nützt einem Hungrigen ein kostbarer Stein; sein Besitz macht
wohl reich, aber nicht satt. Wie gerne würde ich diesen Schatz um
nur einige Gerstenkörner geben."
Das Stücklein Brot, das dich ernährt, ist mehr als Gold und
Perlen wert.
Der Haushahn
und die Mägde
Ein gutes, altes Hausmütterchen weckte ihre Mägde alle Morgen
gewöhnlich mit dem ersten Hahnenschrei.
Dies frühe Aufwecken und Aufstehen verdroß diese. "Wäre
der verzweifelte Hahn nicht", sagten sie, "so dürften wir auch länger
schlafen", und so drehten sie ihm den Hals um. Aber oft und viel wünschten
sie ihn ins Leben zurück, weil sie von der Hausfrau, welche altershalber
wenig schlief und ihre gewohnte Hausuhr, den Hahn, nicht mehr hatte, nun
sogar um Mitternacht geweckt wurden.
Man sucht oft kleinen Unannehmlichkeiten zu entgehen, und kommt in weit
größere.
Der Hirsch
Ein einäugiger Hirsch weidete gewöhnlich auf Wiesen neben
dem Meer, und zwar so, daß er immer das gesunde Auge landwärts
hielt und wähnte, von der Seeseite her habe er keine Gefahr zu fürchten.
Das Schicksal hatte es anders beschlossen.
Eines Tages segelte ein Schiff bei ihm vorbei, und da sein gesundes
Auge dem Lande zugekehrt war, so bemerkte er es nicht und weidete nichts
ahnend fort.
Kaum hatten die Schiffer aber die köstliche Beute erblickt, als
sie auch schon Pfeile nach ihm abschossen. Ein Pfeil traf ihn gerade ins
Herz, und zusammenstürzend rief er aus: "Wie sehr habe ich mich getäuscht,
daß ich nur vom Lande her Gefahr erwartete."
Nur zu oft weicht man vorsorglich einer Gefahr aus und gerät dabei
unvorsichtig in eine andere.
Der Hirsch und der
Löwe
Ein Hirsch, von einem Jäger bemerkt, flüchtete, geriet aber
dabei in eine Höhle, in der zu seinem Unglück ein Löwe hauste.
Diesem kam er gerade recht. Ohne weitere Umstände erwürgte er
den Hirsch. "Oh!" rief dieser sterbend aus, "wie unglücklich sind
wir, während wir dem einen Feind zu entrinnen suchen, laufen wir dem
andern in die Arme."
In blinder Hast entgeht man oft einer Gefahr und kommt dabei in einer
größeren um. Man muß vorne und hinten Augen haben.
Der Hirt und der Wolf
Ein Hirte, der einen erst kurz geworfenen jungen Wolf gefunden hatte,
nahm ihn mit sich und zog ihn mit seinen Hunden auf. Als derselbe herangewachsen
war, verfolgte er, sooft ein Wolf ein Schaf raubte, diesen auch zugleich
mit den Hunden. Da aber die Hunde den Wolf zuweilen nicht einholen konnten
und deshalb wieder umkehrten, so verfolgte ihn jener allein und nahm, wenn
er ihn erreicht hatte, als Wolf ebenfalls teil an der Beute; hierauf kehrte
er zurück. Wenn jedoch kein fremder Wolf ein Schaf raubte, so brachte
er selbst heimlich eines um und verzehrte es gemeinschaftlich mit den Hunden,
bis der Hirte, nach langem Hin- und Herraten das Geschehene inneward, ihn
an einen Baum aufhängte und tötete.
Die Fabel lehrt, daß die schlimme Natur keine gute Gemütsart
aufkommen läßt.
Der Hund und das
Schaf
Man sagt, daß zur Zeit, als die Tiere noch sprechen konnten, das
Schaf zu seinem Herrn geredet habe: "Du tust sonderbar daran, daß
du uns, die wir dir Wolle, Käse und Lämmer schenken, nichts gibst,
als was wir uns auf der Erde selbst suchen, dem Hunde aber, der dir nichts
dergleichen gewährt, von jeder Speise mitteilst, die du selbst hast."
Als der Hund dies hörte, soll er gesagt haben: "Beim Jupiter, ich
bin es ja, der dich und deine Gefährten bewacht, damit ihr nicht von
Dieben gestohlen oder vom Wolfe zerrissen werdet. Denn ihr würdet,
wenn ich euch nicht bewachte, nicht einmal in Ruhe weiden können."
Hierauf soll es auch das Schaf recht und billig gefunden haben, daß
der Hund ihm vorgezogen wurde.
Der Hund und das
Schaf
Ein Hund brachte vor Gericht vor, er habe dem Schaf Brot geliehen; das
Schaf leugnete alles, der Kläger aber berief sich auf drei Zeugen,
die man vernehmen müßte, und brachte drei bei. Der erste dieser
Zeugen, der Wolf, behauptete, er wisse gewiß, daß der Hund
dem Schaf Brot geliehen habe; der zweite, der Habicht, sagte, er sei dabeigewesen;
der dritte, der Geier, hieß das Schaf einen unverschämten Lügner.
So verlor das Schaf den Prozeß, mußte alle Kosten tragen und
zur Bezahlung des Hundes Wolle von seinem Rücken hergeben.
Wenn sich Kläger, Richter und Zeugen wider jemand vereinigt haben,
so hilft die Unschuld nichts.
Der Hund
und das Stück Fleisch
Ein großer Hund hatte einem kleinen, schwächlichen Hündchen
ein dickes Stück Fleisch abgejagt. Er brauste mit seiner Beute davon.
Als er über eine schmale Brücke lief, fiel zufällig sein
Blick ins Wasser. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen, denn er sah
unter sich einen Hund, der gierig seine Beute festhielt.
"Der kommt mir zur rechten Zeit", sagte der Hund auf der Brücke,
"heute habe ich wirklich Glück. Sein Stück Fleisch scheint noch
größer zu sein als meins."
Gefräßig stürzte sich der Hund kopfüber in den
Bach und biß nach dem Hund, den er von der Brücke aus gesehen
hatte. Das Wasser spritzte auf. Er ruderte wild im Bach umher und spähte
hitzig nach allen Seiten. Aber er konnte den Hund mit dem Stück Fleisch
nicht mehr entdecken, er war verschwunden.
Da fiel dem Hund sein soeben erbeutetes, eigenes Stück ein. Wo
war es geblieben? Verwirrt tauchte er unter und suchte danach. Doch vergeblich,
in seiner dummen Gier war ihm auch noch das Stück Fleisch verlorengegangen,
das er schon sicher zwischen seinen Zähnen gehabt hatte.
Der Hund und der Wolf
Es war in einem strengen Winter. Ein Wolf hatte schon seit Tagen vom
Hunger geplagt den Wald durchzogen und nach Nahrung gesucht. Jeder Bissen
hätte ihn erfreuen können, selbst der Rest einer verwesenden
Maus, so ausgehungert war er.
Ein mageres Hündchen lief im unvorsichtigerweise über den
Weg. Es bibberte vor Furcht und Kälte. "Du kommst mir wie gerufen",
freute sich der Wolf und packte den ängstlichen Dreikäsehoch
beim Fell.
"Halt, lieber Wolf, nicht so unüberlegt, siehst du denn nicht,
wie ausgezehrt ich bin? Du mußt dich ja vor mir ekeln"
"Quatsch keinen Unsinn, ich bin nicht wählerisch", knurrte der
Wolf verärgert.
"Du bringst dich um den besten Bissen deines Lebens!" kläffte das
Hündchen. "Du müßtest mich erst einmal sehen, wenn ich
mich morgen von den unzähligen Köstlichkeiten des Hochzeitsmahls
gemästet habe. Morgen werde ich wohlgenährt sein und strotzen
vor Fett. Denn dann heiratet die Tochter meines Herrn einen steinreichen
Gutsbesitzer. Speisen gibt es dort, Speisen!
Feinster Rehbraten, würziger Schinken, Kalbsnieren und Hammelkeulen,
Rindsbraten und duftende Mettwürste!" Der pfiffige Köter machte
dem Wolf den Mund wäßrig mit einer endlosen Aufzählung
auserwählter Leckereien. "Das wäre ein Essen für dich",
schloß er seine Schilderung, "und nicht meine miese Figur von heute.
Komm morgen nacht auf unseren Hof, dann will ich dir dienen. Aber sei leise,
mein Herr hat gute Ohren."
Der Wolf war ganz verrückt geworden von all den herrlichen Speisen,
die der kleine Schlauberger ihm vorgesponnen hatte. Er ging auf den Vorschlag
des Hündchens ein und ließ es laufen.
In der folgenden Nacht schlich er behutsam auf den Hof, um ein Festmahl
zu halten. Der kleine Hund lag auf einem Vordach und rief: "Willkommen,
lieber Wolf! Ich freue mich, daß du meine Einladung angenommen hast.
Warte einen Augenblick, ich will meinem Herrn sofort Bescheid geben, damit
er kommt und dich festlich bewirtet." Und er bellte aus Leibeskräften.
Sofort schlugen auch die Wachthunde an, und der Herr stürmte bald
darauf aus dem Haus, um die Hunde loszulassen. Aber der Wolf war schon
laut schimpfend geflüchtet.
Der Landmann
und der Storch
Ein Landmann stellte den Kranichen Netze und fing unter einer Menge
derselben auch einen Storch.
Dieser stellte sich lahm, bat um seine Freiheit, berief sich auf sein
gutes Herz, auf die Ehrerbietung, womit er seine Eltern unterstütze,
auf sein Verdienst in Vertilgung schädlicher Tiere, und wie er ja
schon dem Äußern nach den Kranichen nicht ähnlich sei.
"Alles gut", sagte der Landmann, "allein ich behandle dich nach deiner
schlechten Gesellschaft!"
Mitgefangen, mitgehangen!
Der
Löwe mit anderen Tieren auf der Jagd
Der Löwe, ein Schaf und andere Tiere gingen zusammen auf die Jagd.
Der Löwe schwur, er wolle nach ihrer Zurückkunft alles Erbeutete
mit ihnen redlich teilen. Als nun ein Hirsch in einem Sumpfe steckenblieb,
wo gerade das Schaf Wache hielt, meldete dieses dem Löwen den Vorfall.
Der Löwe eilte herbei, erwürgte den Hirsch und teilte die
Beute in vier gleiche Teile.
"Der erste Teil gehört mir", sagte er nun zu den Umstehenden, "weil
ich der Löwe bin; der zweite, weil ich der Herzhafteste unter euch
bin; den dritten müßt ihr nür als dem Stärksten überlassen,
und den werde ich auf der Stelle erwürgen, welcher mir den vierten
abspricht."
So behielt der Löwe den ganzen Hirsch, ohne daß es seine
Jagdgenossen auch nur wagen durften, darüber zu klagen.
Mit einem starken Gewalttätigen gehe nicht gemeinschaftlich auf
Geschäfte aus, er teilet immer zum Nachteil des Scbwächeren.
Der Löwe und
der Esel
Der Löwe und der Esel schlossen ein Bündnis und gingen miteinander
auf die Jagd. Zufällig kamen sie zu einer Höhle, in welcher wilde
Ziegen waren. Der Löwe blieb beim Ausgange derselben stehen und bemächtigte
sich der Herauskommenden, während der Esel in die Höhle trat
und ein solches Geschrei machte, daß die erschreckten Tiere herausflohen.
Nachdem der Löwe die meisten ergriffen hatte, trat der Esel ins Freie
und fragte seinen Gefährten, ob er nicht tapfer gekämpft und
die Ziegen ordentlich herausgescheucht habe. Der Löwe antwortete ihm:
"Ich selbst hätte mich gefürchtet, wenn ich nicht gewußt
hätte, daß du ein Esel bist."
Diejenigen, welche sich Kundigen gegenüber rühmen, setzen
sich mit Recht dem Gelächter aus.
Der Löwe und
die Mücke
Eine Mücke forderte mit den übermütigsten Worten einen
Löwen zum Zweikampf heraus: "Ich fürchte dich nicht, du großes
Ungeheuer", rief sie ihm zu, "weil du gar keine Vorzüge vor mir hast;
oder nenne sie mir, wenn du solche zu haben glaubst; etwa die, daß
du deinen Raub mit Krallen zerreißest und mit Zähnen zermalmest?
Jedes andere feige Tier, wenn es mit einem Tapfern kämpft, tut dasselbe,
es beißt und kratzt. Du sollst aber empfinden, daß ich stärker
bin als du!" Mit diesen Worten flog sie in eines seiner Nasenlöcher
und stach ihn so sehr, daß er sich vor Schmerz selbst zerfleischte
und sich für überwunden erklärte.
Stolz auf diesen Sieg flog die Mücke davon, um ihn aller Welt auszuposaunen,
übersah aber das Gewebe einer Spinne und verfing sich in demselben.
Gierig umarmte die Spinne sie und sog ihr das Heldenblut aus. Sterbend
empfand die Mücke ihre Nichtigkeit, indem sie, die Besiegerin des
Löwen, einem so verächtlichen Tiere, einer Spinne, erliegen mußte.
Der Löwe,
Wolf und Fuchs
Ein alter Löwe lag krank in seiner Höhle; alle Tiere besuchten
ihn; nur der Fuchs zögerte. Der Wolf ergriff diese erwünschte
Gelegenheit, seinem Todfeind zu schaden, und brachte die harte Klage gegen
ihn vor: es sei Stolz und Verachtung, daß er seinem Herrn und König
nicht den schuldigen Besuch mache.
Wie der Wolf noch so sprach, kam gerade der Fuchs dazu und vernahm aus
dem Schluß der Rede, daß er verleumdet worden sei. Kaum sah
er den Zorn des Löwen, als er auch schon schnell eine List bei der
Hand hatte, sich zu verteidigen.
Demütig bat er den Löwen um die Erlaubnis, reden zu dürfen,
und als er sie mit Mühe erhalten hatte, sprach er:
"Gibt es wohl ein Tier, das mehr um das Leben unseres großmütigen
Königs besorgt wäre als ich? Kaum hatte ich Kunde von Eurer Krankheit
erhalten, als ich auch schon unermüdlich nach einem Mittel suchte,
Eure Gesundheit herzustellen. Glücklich habe ich es vor einer Stunde
gefunden."
Bei dieser Rede legte sich der Zorn des Löwen, und er fragte schnell,
was das für ein Mittel sei.
"Hülle deinen Bauch und deine Rippen", sagte der Fuchs, "in eine
frisch abgezogene, noch warme Wolfshaut, so bist du wiederhergestellt."
Erfreut ließ der Löwe dem Wolf lebendig die Haut abziehen.
Dies Geschäft besorgte der Fuchs selbst und raunte dem Wolf zu: "Wie
du mir, so ich dir."
Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.
Der Löwe,
der Fuchs und der Esel
Ein Löwe, ein Fuchs und ein Esel gingen miteinander auf die Jagd,
nachdem sie vorher einiggeworden waren, den Raub ganz gleich unter sich
zu verteilen. Ihre Beute war groß. Der Esel erhielt vom Löwen
den Befehl zur Teilung, die er auch so gewissenhaft als möglich veranstaltete,
und bat dann den Löwen, zu wählen. Allein ergrimmt zerriß
ihn der Löwe und übertrug dem Fuchs eine neue Teilung. Dieser
häufte alles zusammen, legte den Esel obenauf und erbat sich nur etwas
Weniges für seine Mühe.
"Schön, mein Freund", sagte der Löwe, "sage mir doch, wer
hat dich so schön teilen gelehrt?"
"Das Schicksal des Esels", war seine Antwort.
Unfälle des Nebenmenschen sollen uns witzigen.
Der Löwe
und das Mäuschen
Ein Mäuschen lief über einen schlafenden Löwen. Der Löwe
erwachte und ergriff es mit seinen gewaltigen Tatzen.
"Verzeihe mir", flehte das Mäuschen, "meine Unvorsichtigkeit, und
schenke mir mein Leben, ich will dir ewig dafür dankbar sein. Ich
habe dich nicht stören wollen."
Großmütig schenkte er ihr die Freiheit und sagte lächelnd
zu sich, wie will wohl ein Mäuschen einem Löwen dankbar sein.
Kurze Zeit darauf hörte das Mäuschen in seinem Loche das fürchterliche
Gebrüll eines Löwen, lief neugierig dahin, von wo der Schall
kam, und fand ihren Wohltäter in einem Netze gefangen. Sogleich eilte
sie herzu und zernagte einige Knoten des Netzes, so daß der Löwe
mit seinen Tatzen das übrige zerreißen konnte. So vergalt das
Mäuschen die ihm erwiesene Großmut.
Selbst unbedeutende Menschen können bisweilen Wohltaten mit Wucher
vergelten, darum behandle auch den Geringsten nicht übermütig.
Der Löwe und der
Bär
Ein Fuchs war einmal auf Jagd gegangen, einen guten Bissen zu erbeuten.
Er war noch nicht lange unterwegs, als er ein lautes Streiten vernahm.
Ein Bär schlug mit seinen Tatzen nach einem Löwen und fauchte
ihn wütend an: "Ich war der erste beim Hirschkalb. Die Beute gehört
mir, ich habe sie gefangen."
"Nein!" brüllte der Löwe zornig zurück. "Du lügst!
Ich war als erster hier, und darum gehört die Beute mir." Er wehrte
sich kräftig und schnappte mit seinen scharfen Zähnen nach dem
Fell des Bären.
Der Löwe und der Bär kämpften verbissen miteinander.
Dem Fuchs erschien der Kampf endlos, denn nicht weit von ihm entfernt lag
die Streitbeute, und er mußte sich zusammenreißen, daß
er sich nicht gleich auf das Hirschkalb stürzte. Aber er war klug
und sagte sich: "Sind die Streitenden erst erschöpft, so können
sie mir nichts mehr anhaben."
Als der Bär und der Löwe nach unerbittlichem Kampf endlich
kraftlos zusammenbrachen, waren sie tatsächlich nicht mehr fähig,
sich zu rühren. Der Fuchs schritt an ihnen vorbei und holte sich die
Beute. Er verneigte sich höflich und sagte: "Danke, meine Herren,
sehr freundlich, wirklich sehr freundlich!" Lachend zog er mit dem Hirschkalb
ab.
Der Löwe und
die Ziege
Auf einem sehr steilen Felsen erblickte ein Löwe eine Ziege. "Komm
doch", rief er ihr zu, "auf diese schöne fette Wiese herab, wo du
die trefflichsten Gräser und Kräuter findest, während du
dort oben darbest."
"Ich danke dir schön für dein Anerbieten", sprach die kluge
Ziege, die wohl die Absicht des Löwen erkannte. "Dir liegt mehr an
meinem Fleisch als an meinem Hunger. Hier oben bin ich vor dir sicher,
während du mich dort unten sofort verschlingen würdest."
Trau, schau, wem?
Der alte Löwe
und der Fuchs
Ein Löwe lag alt und schwach in seiner Höhle und war nicht
mehr fähig, selbst auf die Jagd zu gehen. Er wäre elend zugrundegegangen.
Doch in seiner Not ließ er in seinem Reich die Botschaft von seinem
nahen Tode verbreiten und allen Untertanen befehlen, an den königlichen
Hof zu kommen. Er wolle von jedem persönlich Abschied nehmen.
Nacheinander trudelten die Tiere vor der Höhle des Löwen ein,
und der König der Tiere rief jeden zu sich. Mit kleinen Geschenken
gingen sie einzeln zu ihm hinein, denn sie erhofften sich alle großen
Vorteil davon.
Ein gerissener Fuchs hatte eine Zeitlang in der Nähe der Höhle
verbracht und das Kommen beobachtet. "Seltsam", dachte er, "alle Tiere
gehen in die Höhle hinein, aber niemand kehrt daraus zurück.
Die Burg des Königs ist zwar geräumig, so groß ist sie
nun auch nicht, daß sie alle Untertanen aufnehmen kann. Eigentlich
müßte sie schon lange überfüllt sein.
Vorsichtig trat der Fuchs vor den Eingang und rief höflich: "Herr
König, ich wünsche Euch ewige Gesundheit und einen guten Abend."
"Ha, Rotpelz, du kommst sehr spät", ächzte der Löwe,
als läge er wirklich schon in den letzten Zügen, "hättest
du noch einen Tag länger gezögert, so wärest du nur noch
einem toten König begegnet. Sei mir trotzdem herzlich willkommen und
erleichtere mir meine letzten Stunden mit deinen heitern Geschichten."
"Seid Ihr denn allein?" erkundigte der Fuchs sich mit gespieltem Erstaunen.
Der Löwe antwortete grimmig: "Bisher kamen schon einige meiner Untertanen,
aber sie haben mich alle gelangweilt, darum habe ich sie wieder fortgeschickt.
Jedoch du, Rotpelz, bist lustig und immer voll pfiffiger Einfälle.
Tritt näher, ich befehle es dir."
"Edler König", sprach der Fuchs demütig, "Ihr gebt mir ein
schweres Rätsel auf. Unzählige Spuren im Sand führen in
Eure Burg hinein, aber keine einzige wieder heraus, und Eure Festung hat
nur einen Eingang. Mein Gebieter, Ihr seid mir zu klug. Ich will Euch nicht
mit meiner Dummheit beleidigen und lieber wieder fortgehen. Eines aber
will ich für Euch tun, ich werde dieses Rätsel für mich
behalten." Der Fuchs verabschiedete sich und ließ den Löwen
allein.
Der Mensch und das
Rebhuhn
Ein Mensch wollte ein Rebhuhn schlachten, als dieses aufs kläglichste
bat, sein Leben zu schonen; es wolle, versprach es, aus Erkenntlichkeit
eine Menge Rebhühner in seine Netze locken.
"Oh, wie schlecht ist das von dir", antwortete der Mensch, "und um so
mehr will ich dich umbringen, weil du niederträchtig genug bist, um
dich zu retten, deine Freunde ins Verderben zu stürzen."
Ein edler Mensch wird nie, um sich herauszuziehen, andern Verderben
bereiten.
Der mit Salz
beladene Esel
Ein mit Salz beladener Esel mußte durch einen Fluß, fiel
hin und blieb einige Augenblicke behaglich in der kühlen Flut liegen.
Beim Aufstehen fühlte er sich um einen großen Teil seiner Last
erleichtert, weil das Salz im Wasser geschmolzen war. Langohr merkte sich
diesen Vorteil und wandte ihn gleich am folgenden Tage an, als er mit Schwämmen
belastet durch ebendiesen Fluß ging.
Diesmal fiel er absichtlich nieder, sah sich aber arg getäuscht.
Die Schwämme hatten nämlich das Wasser angezogen und waren bedeutend
schwerer als vorher. Die Last war so groß, daß er erlag.
Sei vorsichtig mit Mitteln: das eine dient nicht für jeden Fall.
Der Ochsentreiber
und Herkules
Ein Ochsentreiber fuhr mit einem Wagen, welcher mit Holz schwer beladen
war, nach Hause.
Als der Wagen im Moraste steckenblieb, flehte sein Lenker, ohne sich
selbst auch nur im geringsten zu bemühen, alle Götter und Göttinnen
um Hilfe an. Vor allem bat er den wegen seiner Stärke allgemein verehrten
Herkules, ihm beizustehen.
Da soll ihm dieser erschienen sein und ihm seine Lässigkeit also
vorgeworfen haben: "Lege die Hände an die Räder und treibe mit
der Peitsche dein Gespann an, zu den Göttern flehe jedoch erst dann,
wenn du selbst etwas getan hast; sonst wirst du sie vergeblich anrufen."
Der Pfau und die
Dohle
Ein Pfau und eine Dohle stritten sich um die Vorzüge ihrer Eigenschaften.
Der Pfau brüstete sich mit dem Glanz, der Farbe und der Größe
seiner Federn.
Die Dohle gab all dieses zu und bemerkte nur, daß alle diese Schönheiten
zur Hauptsache nicht taugten - zum Fliegen. Sie flog auf, und beschämt
blieb der Pfau zurück.
Sei nicht stolz auf bloß äußerliche Vorzüge.
Der Vogelsteller
und die Schlange
Ein Vogelsteller nahm Leim und Rohre und ging hinaus auf den Fang. Als
er auf einem hohen Baume eine Drossel sitzen sah, befestigte er die Rohre
der Länge nach aneinander und blickte in der Absicht, sie zu fangen,
in die Höhe. Da trat er unvermerkt auf eine unter seinen Füßen
liegende Schlange. Diese wurde zornig und biß ihn; er aber sagte
noch im Verscheiden: "O ich Elender, während ich einen andern fangen
wollte, bin ich selber von einem andern in den Tod gejagt worden."
Die Fabel lehrt, daß die, so ihren Nebenmenschen nachstellen,
oft unversehens von andern das gleiche erfahren.
Der Wolf und der
Kranich
Ein Wolf hatte ein Schaf erbeutet und verschlang es so gierig, daß
ihm ein Knochen im Rachen steckenblieb.
In seiner Not setzte er demjenigen eine große Belohnung aus, der
ihn von dieser Beschwerde befreien würde.
Der Kranich kam als Helfer herbei; glücklich gelang ihm die Kur,
und er forderte nun die wohlverdiente Belohnung.
"Wie?" höhnte der Wolf, "du Unverschämter! Ist es dir nicht
Belohnung genug, daß du deinen Kopf aus dem Rachen eines Wolfes wieder
herausbrachtest? Gehe heim, und verdanke es meiner Milde, daß du
noch lebest!"
Hilf gern in der Not, erwarte aber keinen Dank von einem Bösewichte,
sondern sei zufrieden, wenn er dich nicht beschädigt.
Der Wolf und die
Hirten
Einige Hirten schlachteten ein Schaf, verzehrten es in ihrer Hütte
und ließen es sich bei diesem Mahl wohl sein. Ein Wolf, der gerade
aufs Rauben ausging, sah neidisch zu und seufzte: "Ach! Welchen Lärm
würde es geben, wenn ich nur ein einziges Lämmchen raubte! Und
diese Burschen verzehren ein ganzes Schaf ungestraft!"
"Halt ein, Räuber", rief ein Hirt, der dies mit anhörte, "wir
verzehren nur unser Eigentum!"
Mißgönne andern ihr Eigentum nicht, weil du für dich
danach lüstern bist.
Der wilde Hund
Ein wilder Hund fror im Winter jämmerlich. Er kroch in eine Höhle,
rollte sich zusammen, zitterte vor Kälte und sprach vor sich hin:
»Wenn es nur wieder Sommer und warm wird, dann will ich mir eine
Hütte bauen, damit ich im nächsten Winter nicht mehr frieren
muß.«
Als aber der Sommer mit seiner wohltuenden Wärme kam, hatte er
seine guten Vorsätze vergessen.
Er lag da, reckte und streckte sich, blinzelte behaglich in die Sonne
und dachte nicht mehr daran, sich eine Hütte zu bauen. Der nächste
Winter war bitter kalt, und der Hund mußte erfrieren.
Des Löwen Anteil
Löwe, Esel und Fuchs schlossen einen Bund und gingen zusammen auf
die Jagd.
Als sie nun reichlich Beute gemacht hatten, befahl der Löwe dem
Esel, diese unter sie zu verteilen. Der machte drei gleiche Teile und forderte
den Löwen auf, sich selbst einen davon zu wählen.
Da aber wurde der Löwe wild, zerriß den Esel und befahl
nun dem Fuchs zu teilen. Der nun schob fast die ganze Beute auf einen großen
Haufen zusammen und ließ für sich selbst nur ein paar kleine
Stücke über.
Da schmunzelte der Löwe: »Ei, mein Bester, wer hat dich so
richtig teilen gelehrt?«
Die beiden Frösche
Zwei Frösche, deren Tümpel die heiße Sommersonne ausgetrocknet
hatte, gingen auf die Wanderschaft. Gegen Abend kamen sie in die Kammer
eines Bauernhofs und fanden dort eine große Schüssel Milch vor,
die zum Abrahmen aufgestellt worden war. Sie hüpften sogleich hinein
und ließen es sich schmecken.
Als sie ihren Durst gestillt hatten und wieder ins Freie wollten, konnten
sie es nicht: die glatte Wand der Schüssel war nicht zu bezwingen,
und sie rutschten immer wieder in die Milch zurück.
Viele Stunden mühten sie sich nun vergeblich ab, und ihre Schenkel
wurden allmählich immer matter. Da quakte der eine Frosch: »Alles
Strampeln ist umsonst, das Schicksal ist gegen uns, ich geb's auf!«
Er machte keine Bewegung mehr, glitt auf den Boden des Gefäßes
und ertrank. Sein Gefährte aber kämpfte verzweifelt weiter bis
tief in die Nacht hinein. Da fühlte er den ersten festen Butterbrocken
unter seinen Füßen, er stieß sich mit letzter Kraft ab
und war im Freien.
Die beiden Hähne
Von zwei Hähnen, welche um Hennen miteinander kämpften, behielt
der eine die Oberhand über den andern.
Der Überwundene zog sich zurück und verbarg sich an einem
dunklen Orte; der Sieger aber flog aufwärts, stellte sich auf eine
hohe Wand und krähte mit lauter Stimme.
Da schoß jählings ein Adler herab und nahm ihn mit sich
fort. Nunmehr kam der Versteckte ungehindert wieder aus seinem Verschlupf
hervor und gesellte sich zu den Hennen.
Die Fledermaus
Eine Fledermaus fiel in das Gras. Sofort stürzte ein Wiesel auf
sie zu und wollte sie verspeisen.
"Ach!" piepste die Fledermaus in Todesangst. "Was willst du? - Was tust
du? O lasse mich am Leben!"
"Ich kann nicht, ich hasse dich, weil ich alle Vögel hasse", fauchte
das Wiesel.
Die Fledermaus besann sich einen Augenblick.
"Ich bin doch kein Vogel; ich kann die Vögel nicht leiden; ich
bin doch eine Maus!" beteuerte sie. - Da schenkte ihr das Wiesel das Leben.
Kurze Zeit nachher hatte die Fledermaus dasselbe Unglück.
Wieder war ein Wiesel daran, ihr den Hals durchzubeißen.
"Du sollst augenblicklich gefressen werden", sagte es, "ich hasse alle
Mäuse und dich auch!"
"Aber ich bin doch keine Maus, ich kann die Mäuse nicht leiden!
Ich bin doch ein Vogel!" - beteuerte die Fledermaus.
"Was du nicht sagst -, entschuldige!" antwortete das Wiesel. Und die
Fledermaus kam wirklich wieder mit dem Leben davon.
Die Frösche
und die Schlange
Die Frösche erbaten sich einst von Jupiter einen König. Er
warf ihnen einen Klotz zu. Das Getöse jagte sie anfangs in die Tiefe,
bald aber wagten sie, ihre Köpfe herauszurecken und ihren neuen König
zu betrachten, der noch auf dem Wasser schwamm; und bald hüpften sie
kühn auf ihn hinauf, verächtlich grüßten sie ihn als
König; erbaten sich dann aber doch einen andern, der auch ein bißchen
regieren könne.
Im Zorn gab ihnen Jupiter eine Schlange, welche ihre Regierung auch
sofort mit aller Strenge anfing und einen Untertanen nach dem andem verschlang.
Bald blieb dem Überrest nichts übrig, als nochmals um einen andem
Oberherrn zu bitten; allein Jupiter sprach mit Donnerstimme: "Euch ist
geschehen, wie ihr wolltet! Ertragt nun dies Unglück mit Fassung!"
Der Unzufriedene lernt immer zu spät, daß das Alte besser
war.
Die Hasen und
die Frösche
Die Hasen klagten einst über ihre mißliche Lage; "wir leben",
sprach ein Redner, "in steter Furcht vor Menschen und Tieren, eine Beute
der Hunde, der Adler, ja fast aller Raubtiere! Unsere stete Angst ist ärger
als der Tod selbst. Auf, laßt uns ein für allemal sterben."
In einem nahen Teich wollten sie sich nun ersäufen; sie eilten
ihm zu; allein das außerordentliche Getöse und ihre wunderbare
Gestalt erschreckte eine Menge Frösche, die am Ufer saßen, so
sehr, daß sie aufs schnellste untertauchten.
" Halt", rief nun eben dieser Sprecher, "wir wollen das Ersäufen
noch ein wenig aufschieben, denn auch uns fürchten, wie ihr seht,
einige Tiere, welche also wohl noch unglücklicher sein müssen
als wir."
Laß dich nie durch's Unglück niederschlagen; es gibt immer
noch Unglücklichere, mit deren Lage du nicht tauschen würdest.
Die Henne und
die Schwalbe
Eine Henne fand durch Zufall Schlangeneier und legte sie mit dem größten
Entzücken und besonderer Sorgfalt in die gehörige Ordnung, um
sie auszubrüten. Schon stellte sie sich die Freude vor, welche sie
an ihren Küchlein haben würde, wenn sie anfingen zu gehen, wenn
sie ihnen das Futter aufscharrte und zeigte, wenn sie auf ihr Rufen herbeieilten
und es picken lernten, und wenn sie endlich groß, stark, schön
und folgsam geworden wären. Jedoch ihre Freude währte nicht lange;
eine Schwalbe traf sie über dieser Beschäftigung an und belehrte
sie eines Bessern: "Du Törin", sagte sie, "du würdest dir eine
Brut erziehen, welche dir die Mühe nur mit dem Tod lohnen würde!"
Erziehst du dir einen Raben,
Wird er dir zum Dank die Augen ausgraben.
Die Krähe und
die Vögel
Jupiter wollte den Vögeln einen König geben und setzte einen
Tag fest, an welchem sie zusammenkommen sollten.
Die Krähe sammelte im Bewußtsein ihrer Häßlichkeit
die Federn, welche den andern Vögeln ausgefallen waren, und bekleidete
sich mit denselben. Als nun der bestimmte Tag kam, ging sie in ihrem bunten
Schmucke in die Versammlung.
Doch da sie Jupiter wegen ihrer Schönheit zum Könige erwählen
wollte, rissen ihr die erzürnten Vögel die Federn aus, indem
ein jeder diejenigen herauszupfte, welche ihm zugehörten. So war die
Krähe bald wieder nichts anderes, als was sie ursprünglich gewesen
war, nämlich eine häßliche Krähe.
Auch jene Menschen, die sich durch fremde Macht erhoben haben und sich
nun ihres Reichtums brüsten, gewähren, wenn jeder zurückfordert,
was ihm gebührt, einen kläglichen Anblick und sind dann nichts
mehr, als was sie früher waren.
Die Krähe
und andere Vögel
Eine eitle Krähe wollte schöner sein, als sie wirklich war,
und zierte sich mit allerlei bunten Federn von andern Vögeln, hauptsächlich
von Pfauen.
Allein um die Eitelkeit zu bestrafen und ihr Eigentumsrecht auszuüben,
fielen diese über sie her und entrissen ihr nicht nur die geraubten
Federn, sondern auch einen Teil ihrer eigenen.
Armseliger wie vorher, stand sie nun wieder da, ein Spott der ihrigen
und eine Warnung für alle Eitlen.
Prahle nie mit erborgtem Schimmer, Spott ist sonst dein Lohn.
Die Löwin
und die Füchsin
Eine Füchsin, die auf ihre Fruchtbarkeit stolz war, schalt eine
Löwin, daß sie nur ein einziges Junges zur Welt brächte.
Die Löwin antwortete ihr darauf: "Fürwahr, ich bringe nur eines
zur Welt, aber dieses einzige ist ein Löwe."
Die Maus und der
Frosch
Eine Maus schloß zu ihrem Verderben mit einem Frosche Freundschaft
und lud ihn zum Mahle ein.
Der Frosch band den Fuß der Maus an seinen eigenen an, und so
gingen sie zuerst zu einem Orte, wo viele Speisen vorhanden waren. Der
Frosch stillte hier seinen Hunger und beschloß, die Maus, da er ihr
gutes Leben beneidete, zu verderben. Als sie bald darauf an den Rand eines
Sees kamen, zog er sie in das tiefe Wasser. Die unglückliche Maus
kam im Wasser um und schwamm in demselben, an den Fuß des Frosches
angebunden, umher; doch ein Taubenfalke erblickte die Maus und faßte
sie mit seinen Krallen.
Da sich der Frosch nicht losmachen konnte, entführte er ihn gleichfalls
in die Luft, wo er zuerst die Maus und dann jenen selbst verspeiste.
Auch ein Toter ist imstande, das an ihm begangene Unrecht zu rächen,
denn die Gottheit, die alles erblickt, teilt jedem sein gerechtes Schicksal
zu.
Die Schildkröte
und der Hase
Eine Schildkröte, wegen ihrer Langsamkeit von einem Hasen gehöhnt,
wagte es doch, ihn zu einem Wettlauf herauszufordern, den er auch, mehr
aus Scherz als aus Prahlerei, annahm. Der Tag des Wettlaufs kam; das Ziel
wird bestimmt, beide betreten in dem nämlichen Augenblick die Bahn.
Die Schildkröte kriecht langsam, jedoch unermüdlich fort:
der Hase legt sich, um den Hohn gegen die Schildkröte aufs höchste
zu treiben, nach unendlich vielen Seitensprüngen, nur noch wenige
Schritte vom Ziele entfernt, in das Gras nieder und schläft aus Mattigkeit
ein, bis er durch der Zuschauer lauten Jubel geweckt, die Schildkröte
bereits oben an dem Ziel erblickt.
Schon sah er sie zurückkehren, ging aber aus Scham auf die Seite
und gestand frei: in seinem zu großen Vertrauen auf seine Behendigkeit
habe ihn das langsamste Tier von der Welt beschämt.
Oft werden gute, aber flatterhafte Köpfe von mittelmäßigen,
aber anhaltend fleißigen, eingeholt, ja übertroffen.
Die Schlange
und der Landmann
Eine Schlange, welche ihren Verschlupf im Vorhofe eines Landmannes hatte,
tötete dessen kleines Kind, worüber die Eltern in tiefe Trauer
gerieten. In seiner Betrübnis ergriff der Vater ein Beil und wollte
die Schlange, sobald sie hervorkäme, totschlagen. Wie sie nun den
Kopf ein wenig herausstreckte, wollte er schnell auf sie loshauen, allein
er verfehlte sie und traf nur die Öffnung ihres Schlupfwinkels. Nachdem
sich die Schlange wieder in ihr Loch zurückgezogen hatte, glaubte
der Landmann, sie denke nicht mehr an die Beleidigung, nahm Brot und Salz
und setzte es vor die Höhle. Die Schlange aber zischte ganz fein und
sprach. "Nun und nimmer kann Zutrauen und Freundschaft zwischen uns bestehen,
solange ich den Stein sehe und du das Grab deines Kindes."
Die Fabel lehrt, daß niemand Haß und Rache vergißt,
solange er ein Denkmal dessen, was ihn in Betrübnis versetzte, vor
Augen hat.
Die Schwalbe und andere Vögel
Ein Vogel, weicher glaubte, daß er die Denk- und Handlungsweise
der Menschen genau kenne, versammelte eines Tages eine Menge Vögel
um sich und sprach zu ihnen: "Die Menschen säen den Hanf in keiner
andern Absicht, als um Schlingen daraus zu machen und uns einzufangen.
Daher ist es unsere Pflicht, diesen Samen beizeiten auszurotten."
Die Schwalbe, die auch zugegen war, entgegnete, daß sie es für
weit besser halte, die Freundschaft der Menschen zu suchen.
Als ihr Rat keine Zustimmung fand, so verließ sie ihre Waldgenossen,
flog in die Stadt und vertilgte die schädlichen Insekten.
Die Menschen sahen bald ihre Nützlichkeit ein und ließen
sie ungestört ihr Nest an den Häusern bauen. Die anderen Vögel
schadeten den Menschen, wo sie nur konnten, und wurden allerdings stark
und oft fett dabei. Aber es reifte auch der Hanf und wurde zu Schlingen
verarbeitet, mit denen täglich eine Menge Vögel gefangen wurde,
welche mit den Menschen hätten in Ruhe und Freundschaft leben können.
Besser wenigeres in Frieden und nützlicher Tätigkeit, als
vielleicht ein Wohlleben, aber mit Gefahr und auf unrechtem Weg.
Die Stadt-
und die Landmaus
Eine Landmaus hatte ihre Freundin, eine Stadtmaus, zu sich eingeladen
und empfing sie in ihrer sehr bescheidenen Wohnung aufs freundlichste.
Um ihren Mangel der sehr verwöhnten Städterin nicht merken zu
lassen, hatte sie alles, was das Landleben Gutes bot, herbeigeschafft und
aufgetischt. Da waren frische Erbsen, getrocknete Traubenkerne, Hafer und
auch ein Stückchen Speck, wovon die Landmaus nur bei außergewöhnlichen
Gelegenheiten aß.
Mit großer Genugtuung überschaute sie ihre Tafel und unterließ
nicht, ihrer Freundin unablässig zuzusprechen.
Aber die Stadtmaus, durch die vielen gewohnten Leckereien verwöhnt,
beroch und benagte die Speisen nur sehr wenig und stellte sich der Höflichkeit
halber so, als wenn es ihr schmecke, konnte aber doch nicht umhin die Gastgeberin
merken zu lassen, daß alles sehr wenig nach ihrem Geschmack gewesen
sei.
"Du bist eine recht große Törin", sprach sie zu ihr, "daß
du hier so kümmerlich dein Leben fristest, während du es in der
Stadt so glänzend führen könntest wie ich. Gehe mit mir
in die Stadt unter Menschen, dort hast du Vergnügen und Überfluß."
Die Landmaus war bald entschlossen und machte sich zum Mitgehen bereit.
Schnell hatten sie die Stadt erreicht, und die Städterin führte
sie nun in einen Palast, in welchem sie sich hauptsächlich aufzuhalten
pflegte; sie gingen in den Speisesaal, wo sie noch die Überbleibsel
eines herrlichen Abendschmauses vorfanden.
Die Stadtmaus führte ihre Freundin nun zu einem prachtvollen, mit
Damast überzogenen Sessel, bat sie, Platz zu nehmen, und legte ihr
von den leckeren Speisen vor. Lange nötigen ließ sich die Landmaus
nicht, sondern verschlang mit Heißhunger die ihr dargereichten Leckerbissen.
Ganz entzückt war sie davon und wollte eben in Lobsprüche
ausbrechen, als sich plötzlich die Flügeltüren öffneten
und eine Schar Diener hereinstürzte. um die Reste des Mahles zu verzehren.
Bestürzt und zitternd flohen beide Freundinnen, und die Landmaus,
unbekannt in dem großen Hause, rettete sich noch mit Mühe in
eine Ecke der Stube.
Kaum hatte sich die Dienerschaft entfernt, als sie auch schon wieder
hervorkroch und noch vor Schrecken zitternd zu ihrer Freundin sprach:
"Lebe wohl! Einmal und nie wieder! Lieber will ich meine ärmliche
Nahrung in Frieden genießen, als hier bei den ausgesuchtesten Speisen
schwelgen und stets für mein Leben fürchten müssen."
Genügsamkeit und Zufriedenheit macht glücklicher als Reichtum
und Überfluß unter großen Sorgen.
Die Taube und die
Krähe
Eine Taube brüstete sich unter andern Vögeln mit ihrer Fruchtbarkeit:
"Ich brüte", sagte sie, "jährlich acht bis zwölf Junge aus,
atze sie, lehre sie fressen und fliegen, fliege mit ihnen auf die Kornfelder
und lebe froh mit Kindern, Enkeln und Urenkeln, während ihr andern
Vögel kaum ein Paar aushecket!"
"Still!" sagte eine Krähe, die dies mit anhörte, "prahle doch
ja nicht mit einem Gegenstand, der dir so unendlich viel Kummer und Leid
verursacht! So viele Junge du hast, so viele Male hast du Trauer anzulegen.
Kaum haben sie die ersten Federn, so sind sie auch schon auf den Tafeln
der Menschen."
So ist's im Leben: Kurze Freud, viel Leid und doch halten die Freuden
unserem Gedächtnis länger nach.
Die Schlange
und der Landmann
Eine Schlange, welche ihren Verschlupf im Vorhofe eines Landmannes hatte,
tötete dessen kleines Kind, worüber die Eltern in tiefe Trauer
gerieten. In seiner Betrübnis ergriff der Vater ein Beil und wollte
die Schlange, sobald sie hervorkäme, totschlagen. Wie sie nun den
Kopf ein wenig herausstreckte, wollte er schnell auf sie loshauen, allein
er verfehlte sie und traf nur die Öffnung ihres Schlupfwinkels. Nachdem
sich die Schlange wieder in ihr Loch zurückgezogen hatte, glaubte
der Landmann, sie denke nicht mehr an die Beleidigung, nahm Brot und Salz
und setzte es vor die Höhle. Die Schlange aber zischte ganz fein und
sprach. "Nun und nimmer kann Zutrauen und Freundschaft zwischen uns bestehen,
solange ich den Stein sehe und du das Grab deines Kindes."
Die Fabel lehrt, daß niemand Haß und Rache vergißt,
solange er ein Denkmal dessen, was ihn in Betrübnis versetzte, vor
Augen hat.
Die Schwalbe
und andere Vögel
Ein Vogel, weicher glaubte, daß er die Denk- und Handlungsweise
der Menschen genau kenne, versammelte eines Tages eine Menge Vögel
um sich und sprach zu ihnen: "Die Menschen säen den Hanf in keiner
andern Absicht, als um Schlingen daraus zu machen und uns einzufangen.
Daher ist es unsere Pflicht, diesen Samen beizeiten auszurotten."
Die Schwalbe, die auch zugegen war, entgegnete, daß sie es für
weit besser halte, die Freundschaft der Menschen zu suchen.
Als ihr Rat keine Zustimmung fand, so verließ sie ihre Waldgenossen,
flog in die Stadt und vertilgte die schädlichen Insekten.
Die Menschen sahen bald ihre Nützlichkeit ein und ließen
sie ungestört ihr Nest an den Häusern bauen. Die anderen Vögel
schadeten den Menschen, wo sie nur konnten, und wurden allerdings stark
und oft fett dabei. Aber es reifte auch der Hanf und wurde zu Schlingen
verarbeitet, mit denen täglich eine Menge Vögel gefangen wurde,
welche mit den Menschen hätten in Ruhe und Freundschaft leben können.
Besser wenigeres in Frieden und nützlicher Tätigkeit, als
vielleicht ein Wohlleben, aber mit Gefahr und auf unrechtem Weg.
Die weiße Dohle
Eine Dohle sah öfters zu, wie reichlich die Tauben auf einem Bauernhof
gefuttert wurden. "Sie bekommen das Futter hingestreut", dachte sie neidisch,
"während ich es mühsam suchen muß. Ich will lieber eine
Taube werden!"
Was tat sie nun? Sie bemalte sich weiß vom Kopf bis zum Fuß,
glättete ihr Gefieder und mischte sich unter den Taubenschwarm. Vergnügt
pickte sie die Körner auf. Die Tauben ließen sie ruhig gewähren,
denn keine vermutete, daß dies ein fremder Vogel sei. So ging das
einige Tage - bis die Dohle so unklug war, ihren Schnabel aufzutun und
ihr Gekrächze hören zu lassen.
"Eine Dohle, eine verkleidete Dohle!" schrien die Tauben wütend,
stürzten auf sie zu und hätten sie unbarmherzig totgebissen,
wenn es ihr nicht gelungen wäre zu entfliehen.
Reumütig kehrte die Dohle zu ihrer Sippe zurück. Jedoch die
andern Dohlen erkannten sie nicht mehr in ihrem weißen Kleide. Bösartig
hackten sie auf den fremden Vogel los. Sie duldeten nicht, daß er
unter ihnen lebte.
So wurde die weiße Dohle heimatlos und hatte es noch viel schwerer,
sich ihre Nahrung zu suchen.
Die wilde
Ziege und der Weinstock
Eine wilde Ziege flüchtete sich, von Hunden verfolgt, in einen
Weinberg und verbarg sich unter den Blättern eines Weinstockes. Die
Hunde stürzten vorbei, und sie entging ihren Verfolgern.
Kaum glaubte sie sich außer Gefahr, als sie sich auch schon über
die Reben hermachte und die Blätter fraß, die kurz vorher sie
so treulich versteckt hatten. Dieses Geräusch machte den Jäger
aufmerksam, der etwas zurückgeblieben war. Er entdeckte auch bald
die Ziege und erlegte sie.
"Ach!" seufzte sie sterbend, "mit Recht habe ich diese Strafe verdient,
weil ich meinen Beschützer mit schnödem Undank belohnte."
Es ist das größte Unrecht, Wohltaten mit Übel zu vergelten;
der Undankbare entgeht selten der verdienten Strafe.
Die Ziege und
der Ziegenhirt
Ein Ziegenhirt musterte seine Ziegen, bevor er sie austrieb. Eine derselben
hatte es sich gut schmecken lassen und sehr viel gefressen. Sie ging daher
langsamer als die andern und blieb zurück.
Der Hirt ärgerte sich über ihre Langsamkeit, und da er nicht
lange auf sie warten wollte, hob er einen Stein auf und warf nach ihr.
Unglücklicherweise traf er das eine Horn, daß es abbrach. Kaum
geschehen, bereute er seine Unvorsichtigkeit und bat die Ziege, doch ja
nichts ihrem Herrn zu klagen.
"Sei doch gescheit", antwortete die Ziege, "wenn ich auch nichts davon
sagen wollte, so würde doch das fehlende Horn dich anklagen."
Wo Taten sprechen, laßt sich das einmal Geschehene nicht verhehlen.
Drei Stiere und
der Löwe
Drei Stiere schlossen miteinander ein Bündnis, jede Gefahr auf
der Weide mit vereinten Kräften abzuwehren; so vereinigt, trotzten
sie sogar dem Löwen, daß dieser sich nicht an sie wagte.
Als ihn eines Tages der Hunger arg plagte, stiftete er Uneinigkeit unter
ihnen. Sie trennten sich, und nach nicht acht Tagen hatte er alle drei,
jeden einzeln, angegriffen und verzehrt.
Eintracht gibt Stärke und Sicherheit, Zwietracht bringt Schwäche
und Verderben.
Ein Fuchs und
eine Bildsäule
Ein Fuchs betrachtete in der Werkstätte eines Bildhauers mit Entzücken
verschiedene schöne Bildsäulen. Besonders gefiel ihm eine derselben
wegen ihrer vorzüglichen Arbeit und Schönheit. Er untersuchte
sie endlich näher und bemerkte nicht das geringste Zeichen von Leben
oder Verstand.
"Oh!" rief er aus, "wie schade ist, daß ein so schöner Kopf
kein Gehim hat!"
Die Bildung des Geistes gibt erst der Schönheit des Körpers
einen Wert.
Huhn und Eier
Eine arme Frau hatte nur ein Huhn, aber das war ihre Freude, denn es
legte täglich ein Ei. Da sprach sie bei sich: »Gutes Tierchen,
wenn ich dir doppeltes Futter gebe, dann legst du mir bestimmt jeden Tag
zwei Eier!«
Sie tat so in ihrer Unvernunft. Da wurde das Huhn fett und immer fetter
und legte schließlich überhaupt nicht mehr.
Jupiter und die Bienen
Die Bienen, unwillig darüber, daß sie nur für die undankbaren
Menschen arbeiten sollten, brachten dem Jupiter die feinsten Waben zur
Gabe und erbaten sich von ihm die Gnade, er möchte ihren Stacheln
die Eigenschaft verleihen, recht empfindliche Schmerzen zu verursachen.
"Es sei", sprach Jupiter, ergrimmt über die Rachgierde dieser
so kleinen Tierchen, "aber so, daß auch ihr zugleich mit dem Stachel
euer Leben lasset!"
Laß dich vom Hasse nicht betören, denn seine Folgen können
oft für dich selbst gefährlich werden.
Jupiter und die Schlange
Als Jupiter seine Vermählung feierte, brachten ihm alle Tiere Geschenke
dar. Auch die Schlange kroch in den Himmel und trug eine Rose im Munde;
doch als Jupiter sie erblickte, sprach er: "Gern und freudig nehme ich
die Geschenke der übrigen an, aber von dir will ich nichts haben."
Die Geschenke der Schlechten sind unwillkommen.
Knaben und Frösche
Einige mutwillige Knaben machten sich eines Tages die größte
Freude daraus, an einem Teiche jeden Frosch, so wie er hervortauchte, mit
Steinen zu bewerfen. je mehr Frösche sie verwundeten, je größer
und lauter wurde das Geschrei, bis endlich ein alter Frosch auftauchte
und ihnen zurief:
"Kinder, bedenkt doch, was ihr tut, daß ihr uns armen Tiere, die
euch nichts Böses taten, quält und schuldlos tötet."
Dies machte die Knaben aufmerksam, sie dachten darüber nach und
gingen beschämt nach Hause.
Quäle nie ein Tier zum Scherz,
Denn es fühlt wie du den Schmerz.
Rabe und Fuchs
Ein Rabe hatte einen Käse gestohlen, flog damit auf einen Baum
und wollte dort seine Beute in Ruhe verzehren. Da es aber der Raben Art
ist, beim Essen nicht schweigen zu können, hörte ein vorbeikommender
Fuchs den Raben über dem Käse krächzen. Er lief eilig hinzu
und begann den Raben zu loben: »O Rabe, was bist du für ein
wunderbarer Vogel! Wenn dein Gesang ebenso schön ist wie dein Gefieder,
dann sollte man dich zum König aller Vögel krönen!«
Dem Raben taten diese Schmeicheleien so wohl, daß er seinen Schnabel
weit aufsperrte, um dem Fuchs etwas vorzusingen. Dabei entfiel ihm der
Käse. Den nahm der Fuchs behend, fraß ihn und lachte über
den törichten Raben.
Vom Fuchs und Hahn
Ein hungriger Fuchs kam einstmals in ein Dorf und fand einen Hahn; zu
dem sprach er also: »O mein Herr Hahn, welche schöne Stimme
hat dein Herr Vater gehabt! Ich bin darum zu dir hierher gekommen, daß
ich deine Stimme hören möchte. Darum bitt ich dich, daß
du mir singst mit lauter Stimme, damit ich hören möge, ob du
eine schönere Stimme habest oder dein Vater.«
Da erschwang der Hahn sein Gefieder, und mit geschlossenen Augen fing
er an, auf das lauteste zu krähen. Indem sprang der Fuchs auf und
fing ihn und trug ihn in den Wald. Als das die Bauern gewahr wurden, liefen
sie dem Fuchs nach und schrien: »Der Fuchs trägt unsern Hahn
fort!« Als der Hahn das hörte, sprach er zu dem Fuchs: »Hörst
du, Herr Fuchs, was die groben Bauern sagen? Sprich du zu ihnen: 'Ich trage
meinen Hahn und nicht den euern'.«
Da ließ der Fuchs den Hahn aus dem Maule und sprach: »Ich
trage meinen Hahn und nicht den euern.« Indem flog der Hahn auf einen
Baum und sprach: »Du lügst, Herr Fuchs, du lügst, ich bin
des Bauern, nicht dein.«
Da schlug der Fuchs sich selbst mit den Händen aufs Maul und sprach:
»O du böses Maul, wieviel schwätzest du? Wieviel redest
du Unnützes? Hättest du jetzt nicht geredet, so hättest
du deinen Raub nicht verloren.«
Zwei Frösche
In einem außerordentlich heißen Sommer war ein tiefer Sumpf
ausgetrocknet und die Frösche, die bisherigen Bewohner desselben,
mußten sich nach einem andern Wohnort umsehen.
Zwei derselben kamen auf ihrer Wanderschaft zu einem tiefen Brunnen,
worin es noch Wasser gab.
"Ei! Sieh da!" rief der eine. "Warum wollen wir weitergehen? Laß
uns hier hinunterhüpfen!"
"Halt!" antwortete der andere, "das Hinunterkommen ist zwar ganz leicht,
aber wenn auch der Brunnen eintrocknet, wie willst du dann wieder herauskommen?"
Was dir heute nutzt, das kann dir morgen schaden, darum denke nach,
bevor du handelst.
Zeus und das Kamel
Ein Kamel, das einen Stier erblickte, welcher auf seine Hörner
stolz war, beneidete diesen und wünschte sich denselben Schmuck; deshalb
trat es vor Zeus und bat ihn gleichfalls um Hörner. Der Gott, welcher
dem Tiere einen großen Körper und Stärke des Leibes, die
ihm nötig waren, verliehen hatte, zürnte über die Unbescheidenheit
desselben und versagte ihm nicht bloß die Hörner, sondem nahm
ihm auch etwas von der Länge der Ohren hinweg.
Viele verlieren, indem sie mehr zu gewinnen streben, dasjenige, was
sie in Sicherheit genießen könnten.
Zwei Freunde und
ein Bär
Zwei Freunde gelobten sich gegenseitig, sich in allen Fällen treu
beizustehen und Freud und Leid miteinander zu teilen. So traten sie ihre
Wanderschaft an.
Unvermutet kam ihnen auf einem engen Waldwege ein Bär entgegen.
Vereint hätten sie ihn vielleicht bezwungen. Da aber dem einen sein
Leben zu lieb war, verließ er, ebenso bald vergessend, was er kurz
vorher versprochen hatte, seinen Freund und kletterte auf einen Baum. Als
sich der andere nun verlassen sah, hatte er kaum noch Zeit, sich platt
auf den Boden zu werfen und sich tot zu stellen, weil er gehört hatte,
daß der Bär keine Toten verzehre.
Der Bär kam nun herbei, beleckte dem Daliegenden die Ohren, warf
ihn mit der Schnauze einige Male herum und trabte dann davon, weil er ihn
für tot hielt.
Sobald die Gefahr vorüber war, stieg jener vom Baume herab und
fragte seinen Gefährten voll Neugierde, was ihm der Bär zugeflüstert
habe?
"Eine vortreffliche Warnung", antwortete dieser, "nur schade, daß
ich sie nicht früher gewußt habe."
Man solle sich nicht mit Menschen einlassen, die ihre Freunde in der
Not verlassen.
Zwei Krebse
"Geh doch gerade und vorwärts!" rief einem jungen Krebs seine Mutter
zu.
"Von Herzen gerne, liebe Mutter", antwortete dieser, "nur möchte
ich es dich ebenso machen sehen."
Jedoch vergeblich war der Mutter Anstrengung und sichtbar ihre Klügelei
und Tadelsucht.
Gib keine Befehle, die man nicht vollbringen kann, und tadle an andern
keine Fehler, die du selbst begehst!
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